Es drängt sich der Eindruck auf, dass eine rationale Marketingstrategie in Gang gesetzt wurde, um Michael Schmidt (1945-2014) in eine Reihe neben Otto Steinert (1915-1978) und Bernd Becher (1931-2007) zu platzieren. Dies zeugt von einem Verlust des Lesevermögens, wem dieser moderne Fortschritt nutzt, welche handfesten Geschäftsinteressen im Hintergrund wirken, wo das Rationale späht, taktiert, zerstückelt, Kausalketten zu neuen Sachverhalten konstruiert, sie vervielfältigt, in das Vokabular der Distinktion gießt: das und jenes ist das und das. Der Scheinwerfer richtet sich auf den Strategen Thomas Weski (*1953), Kurator der Stiftung für Fotografie und Medienkunst, Hüter des Archiv Michael Schmidt.
Hinter Thomas Weski steht der finanzstarke Deutsche Sparkassen- und Giroverband. Ihm finanzierte dieser Verband eine Stiftungsprofessur an der HBG Leipzig, in einer der Schaltzentralen künstlerischer Fotografie in Deutschland, wo er eine marktliberal orientierte Kuratorengeneration heranzog. Seine Maxime als Strippenzieher zielt nach eigener Aussage gegenüber der Zeitschrift Monopol auf das Ende von elitären „Starkuratoren“ des Kalibers einer Ute Eskildsen (*1947), das elegante Ausbooten von innovativen Fotografen durch eine taktische Verneinung ihrer fotografischen Positionen. Diese Strategie erinnert an Enzensbergs Schrift: Mittelmaß und Wahn, dass sich zweitklassige Kräfte mit Zuarbeitern umgeben, die ihrem Machtstreben nicht in die Quere kommen.
Für Weskis Verklärung von Michael Schmidts Arbeit an der VHS Kreuzberg sorgt eine Rückprojektion auf die Jahre 1976-1986 unter Ausblendung der politischen Verhältnisse jener Zeit. Ihr Zweck scheint eine Pflocksetzung von Schmidts Status innerhalb deutscher Fotografie-Auffassungen. Geflissentlich ausgelassen wird in diesen Schauen die als „Rebellion“ umgeprägte Nothilfe aus dem kapitalistischen Großer-Bruder-Staat USA. In transatlantischer Außenschau auf die Mauerstadt Berlin herrschte dort eine Unterversorgung an US-Mentalitäten, die einer dringenden Verhaltenskorrektur bedurfte.
Nihilistische Hausbesetzer oder die anarchistische Bewegung 2. Juni pflegten in Schmidts Berliner VHS-Jahren einen linksradikalen Antiamerikanismus. Eine wilde Punkszene in abgefuckten Clubs wie dem SO 36 (Geschäftsführer Martin Kippenberger) oder die in Kreuzberg verbreitete Haltung gegenüber staatlichen Instanzen: „wir wollen keine Bullenschweine“ vermittelten eine für Aussteiger und Kriegsdienstverweigerer spannende und zugleich daran gekoppelte Hoffnung, dem Kapitalismus als historische Vorstufe des Sozialismus ein Ende zu setzen. Schmidts Fotografiekurse in der VHS-Kreuzberg hatten in diesem Chaos an nonkonformen Lebensstilen eher kleinbürgerlich piefige denn „rebellische“ Züge. Wer etwa den bourgeoisen Baumwollplamtagenbesitzer William Eggleston (*1939) zu einer Leitfigur erklärte, der in seinen fotografischen Schnppschüssen an den Rassenunruhen vor seiner Haustür in Memphis/Tennessee vorbeizielte, galt im deutschen Herbst als politisch reaktionär.
Care-Pakete fotografischen Inhalts erreichten die VHS-Werkstatt via Rosinenbomber. Die Kreuzberger Werker rahmten diese Flachwaren in einer Art Heimarbeit und zeigten unter anderem in der VHS Kreuzberg 30 Originale der Arbus. Nach heutigem Marktwert von Diane Arbus (1923-1971), Larry Clark (*1943) oder William Eggleston sind diese Zeigungen schwer in neoliberal verschaltete Köpfe zu kriegen. Auf der Paris Photo 2016 verkaufte eine US-Galerie eine Fotografie von Diane Arbus für 375.000 US-$. Was Kuratoren, Versicherungen, Eigner der Jetztzeit für ein Sicherheitspaket um so ein millionenschweres Arbus-Konvolut schnüren würden, Panzerwagen, knurrig dreinblickende Security usf, ist Indiz für den rasenden Stillstand des Radikalkapitalismus, jeder Äußerung von Mensch und Natur einen ökonomisch rational gesetzten Wert zuzuweisen. Sympathisch scheint dagegen die Vorstellung, dass ein Postbote die Arbus-Rosinen vorbeibrachte, vielleicht sie Michael Schmidts Nachbarn in die Hand drückte, weil dieser gerade in Schwarzarbeit eine Wohnung tapezierte.
Nach Schmidts Lehrauftrag 1979/80 im Fachbereich 4 der Essener Gesamthochschule wurde Angela Neuke (1943-1997) die Nachfolgerin auf dem Lehrstuhl des 1978 verstorbenen Otto Steinert. Zeitgleich übernahm die einstige Steinert-Assistentin Ute Eskildsen die Leitung der fotografischen Sammlung im Museum Folkwang. Zwei politische und fotografische Gegensätze prallten gegeneinander: Kriegsfotografin versus Intellektuelle. Neuke stand in linksradikal feministischer Attitüde der konservativen Eskildsen gegenüber, die im gedeckten Kostüm und blondem Mozartzopf ihre Autorität interpretierte.
Indirekt formulierten 13 Studierende ein Manifest gegen ihre neue Lehrerin. Neuke habe null Ahnung von politisch umgefärbter New Color-Fotografie und sei eine Fehlbesetzung auf dem Steinert-Lehrstuhl. Als eine Reaktion darauf erklärte Steinerts Musterschüler André Gelpke (*1947) die Steinert-Schule für „tot“, was zu dieser Zeit der Grabgesänge schwer in Mode war. Mal war das Theater tot, dann Philosophie, da wollte die zweite Doppel-ph-Disziplin Photographie sich nicht lumpen lassen.
Vielmehr als die Neukesche Bildjournalistik faszinierte die Manifestanten der Polizistenblick von Michael Schmidt, seine matschig-depressiven Graustrich-Deutungen von Berliner Stadtlandschaften. Sie werteten diese Fotografien als experimentelle Wagnisse, schielten beidäugig auf die inkohärente Amateurmethode von William Eggleston, Stephen Shore (*1947) und anderen.
„Demokratische Kamera“ nennt Eggleston das Serendipity-Verfahren des Zufalls. In diesen Erzählsträngen werden Natur, Mensch, Ding der gleiche Stellenwert eingeräumt und eine vorrangige Stellung des Menschen abgelehnt, Anschnitte, Unschärfen, Uber- und Unterbelichtungen, reproduzierte Zeitungsfotos nicht als kompositorische Mängel gewertet. Häufig missverstehen fotografierende Vertreter dieser Nichts-ist-unmöglich-Methode, dass nur ein vorbereiteter Geist das findet, was er nicht sucht, erkennt, was er nicht kennt.
Von Ute Eskildsen wurde diese handzahme Opposition im Fachbereich 4 goutiert. Subtil und qua ihrer Funktion unterminierte sie die Lehre von Angela Neuke, indem Eskildsen die Positionen dieser politisch geschmeidigen New Color-Nachahmer mit Preisen auszeichnete, für sie das Museum Folkwang öffnete, einige ihrer Favoriten auf Lehrstühle in den ostdeutschen Zuwachsgebieten setzte.
Dieser ideologische Graben existiert bis heute. Neukereske Bildjournalistik steht für gestrig. In konsumgesättigten Köpfen sind diese Blicke antiquiert, Relikte einer getrost zu vergessenen Ära, nichtssagend links. Verschämt haben sich Essener Bildjournalisten zu Dokumentarfotografen oder künstlerische Fotografen umgewidmet. Im zeitgemäßen Neuspreh heißt ihr Essener Lernort jetzt: Folkwang – Universität der Künste, um das Abrutschen der einstigen Vorzeigestätte ins Mittelmaß zumindest dem sprachakrobatischen Schein nach aufzuhalten. In diesem Marketingkonzept ist das Neuke-Bashing opportun, hingegen soll eine Rückbesinnung auf Otto Steinert den Weg aus der Krise weisen. Deutlich wird dieser Konflikt im klotzigen Katalog der Folkwang-Schau: Das rebellische Bild - Werkstatt für Photographie. Erst auf Intervention von Volker Heinze (*1959) erklärte sich Folkwang-Kurator und Eskildsen-Nachfolger Florian Ebner (+1970) dazu bereit, Angela Neuke in diesen Katalog aufzunehmen.
Bis zu ihrem Tod 1997 war Neuke eine radikale Gegnerin des enthemmten Kapitalismus, der in Egglestons „demokratischer Kamera“ seine nackte Gewalt maskiert. Sie sah sich verpflichtet, nach den Grundbedingungen der menschlischen Existenz zu fragen, seiner Selbstentfremdung durch kapitalistische Arbeit und Produktionsprozesse. Dies äußerte sie in einem Interview von 1993 in der Schrift: Essener Unikate. Darin nennt sie das in ihrem Denken über fotografische Inhalte verankerte Verantwortungsprinzip.
Auf der Beerdigung der RAF-Gefangenen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan Carl Raspe fotografierte sie und ein dpa-Fotograf die Familienangehörigen der Toten in der Trauerhalle des Friedhofs. Neuke und dieser dpa-Fotograf verzichteten auf eine Veröffentlichung ihrer Fotos, um diese Familien vor zynischer Rezeption in den Medien zu schützen.
In der Klasse von Angela Neuke mussten Bildjournalisten politische Position beziehen, eine Haltung zeigen, auf welcher Seite sie stehen. Dagegen postulierte Ute Eskildsen 1986 in der Ausstellung: Rest des Authentischen eine Absage an die politische Bildjournalistik, womit sie deren Ende siegeln wollte und Fotografie für einen Raum der Beliebigkeit öffnete. Was als Abstreifen politisch linker Dogmen verstanden wurde, gipfelte als eine Reaktion darauf in der paradoxen Begriffskomposition: Dokumentarfotografie. Unter diesem Begriff begreifen Fotografen verschiedene Positionen, die als Gemeinsamkeit Menschen, Architekturen, urbane Räume, Dinge, Spuren oder Natur zeigen. Die herbeizitierte Haltung zum Sujet verschwindet im Wortdunst von halbgaren philosophischen Anleihen. Eine Ahnung von etwas ersetzt das Was-ist zu einem unscharf maskierten Wie. Platonische Begriffe: Konzept, Idee, Kreativität, Kommunikation wurden entkernt, pragmatisch von ihrem metaphysischen Ballast befreit, zungenfertig umgedeutet, damit sie im Kontext fotografischer Positionen geerdet scheinen.
Die Folkwang-Schau: Das rebellische Bild - Werkstatt für Photographie dient dem ökonomischen Zweck einer Wertschöpfung, Michael Schmidt hätte die gleiche Expertise wie Otto Steinert und Bernd Becher, fotografisch eine Strahlkraft ausgeübt wie Walker Evans (1903-1975), Diane Arbus, Larry Clark. Diese zweckdienliche Zuschreibung scheint an den Haaren herbeigezogen, käme nicht Andreas Gursky (*1955) mit einem Zitat gegenüber Monopol ins Spiel: Michael Schmidt sei sein wichtigster Lehrer.
Diskontinuitäten sind in diesem Denkmodell nicht vorgesehen, würden stören, sich den Kontrolle entziehen, eventuell Luftwurzeln schlagen. Dazu passt, Neuke-Diplomand Volker Heinze zu einem Schüler des Berliner Ex-Polizisten zu erklären. Ein Versehen, Zufall, Absicht? Wir schauen stets betroffen, Vorhang zu und alle Fragen offen.
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Im Magazin der Fotografen-Organistation “Freelens” veröffentlichte der Hamburger Fotograf Andreas Herzau einen Artikel über Straßenfotografie. Dieser Artikel ist auf dessen Netzseite, photography-now und auf Herzaus facebook-Kanal publiziert. Im Grundton heißt es: Straßenfotografie gebe es nicht und was dafür gehalten werde, sei ein Konstrukt, dem es an Legitimation fehle, worüber in den USA und in Deutschland juristische Streite angezettelt worden sind. Unterschwellig scheint mir Herzaus Artikel in Richtung von Magnum Photo zu zielen. In einem teils verächtlichen Ton spottet Herzau neoliberal geschliffen über den Lehrsatz vom “richtigen Augenblick” des Magnum-Gründers Henri Cartier-Bresson, den Herzau als “Quatsch” abkanzelt. Dieser Abwehrreflex gründet auf einem angeknacksten Selbstverständnis. In freiwilliger Konformität an die Marktverhältnisse dürfen deutsche Fotografen feststellen, dass sie international eine Nebenrolle spielen. Wohingegen Fotografen von Maganum Photos auch weiterhin dem Cartier-Bresson-”Quatsch” folgen; im übertragenen Sinn den Dreck unter ihren Schuhen nicht scheuen.
https://www.freelens.com/news/ja-was-ist-sie-denn-die-strassenfotografie/
Meine Erwiderung auf facebook:
Guten Tag, Andreas Herzau,
gleich im Vorspann Ihrer scheinbar provokanten Hypothese, die ein lustiges „Ja“ voranstellt, stellen Sie eine rhetorische Frage, die von einer marktkonformen Prämisse ausgeht. Ließen Sie den Begriff „Straße“ einmal fallen, hätten Sie den Zwiebel-Kern Ihres eigenen spekulativ „transzendentalen“ „soziologischen“ Tuns getroffen. Ihre sokratische Frage könnte schlichter lauten: „Was ist Fotografie“, ohne dass Sie dabei den Umweg über das hässliche Anhängsel „Straße“ gehen müssten.
IIm Subtext Ihres Komödienstücks: „Ja, was ist sie denn, die Straßenfotografie?“ pressen Sie das „Was ist“ in einen assoziativen „Wie“-Vergleich, stützen sich auf ein „Welches“, ein vulgärpragmatisch nüchternes „Warum“. Für diesen bekannten Marketingschwindel nutzen Sie einen sophistischen Trick, um Ihr Scheinwissen über die metaphysische „Was ist …-Frage“ zu kaschieren. Tröstend scheint mir, dass Phaidon, Alkibiades und die anderen Klienten des, „Streetworkers“ der Athener Patrizier an der Was ist-Frage scheiterten. Gleichfalls scheiterte der „Straßenköter“ Diogenes von Sinope, vom dem Sie vermutlich den Spott geliehen haben; Spott als letzte Ausfahrt Brooklyn.
Sie machen ein großes Fass auf, wenn Sie von „verstehen“ reden. Verstehen Sie als Empiriker hinter der Kamera die Algorithmen Ihres Werkzeugs Sehmaschine, den Quellcode Ihrer Rechnerwerkzeuge, des Smartphones, geschweige denn, was sich virtuell im Datenraum abspielt? Was Fotografen tun, scheint mir das spekulative Enträtseln von virtuellen Kirchenfenstern. Auf Monitoren erscheinen generrierte Abbilder aus Nullen und Einsen, deren Augenschein ein Rätsel darstellt. Die modernen Priester dieses Augenscheins heißen Programmierer, ihre nützlichen Messdiener aus den neu erfundenen Zünften heißen sich künstlerische Dokumentarfotografen, Instagramer usw.. Fotografen können meinen, was sie wollen, ohne zu verstehen, was und wofür sie „die nördliche Hemisphäre“ mit ihrem Tastenspiel auf Kamera und Rechner beglücken. Meinen ist nicht gleich wissen, wissen nicht gleich Erkenntnis.
Noch ein Wort zu Kairos - der richtige Augenblick. Aristoteles übersetzte den Ausdruck von Hesiod und Pindar für den begünstigten Raum- und Zeitpunkt als das „Gute“ im Hinblick auf die „Zeit“. In praxisbezogenen Wissenschaften ist der richtige Augenblick kein „Quatsch“ wie sie meinen, vielmehr kann der richtige Augenblick über Leben und Tod entscheiden. Mir scheint Ihre Ablehnung des Ausdrucks woanders vergraben. Der von René Burri verehrte Henri Cartier-Bresson erklärte den Ausdruck Kairos zur conditio humana von Magnum Photos. Ihr Problem, dass Sie damit nichts anfangen können.
Was bleibt sind Scheindiskurse über leere Marketing-Namen. Jeder aufgepumpte Name mit dem Anhängsel Fotografie ist Etikettenschwindel.
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Was Fotografie ist, steht in neoliberaler Zeit unter Ideologieverdacht. Ich maße mir an, nach dem „gesamtgesellschaftlichen Verblendungszusammenhang“ dieses bildgebenden Technikverfahrens zu fragen. Hingegen verbietet sich eine naturwissenschaftlich mathematisch geprägte Dingsicht die Anmaßung der Was-ist-Frage.
Spätestens nach der Bologna-“Reform“ der Universitäten und Hochschulen geben sich Buchhalter das Marketingprädikat „Wissenschaftler“. Diese fragen nicht danach, was ist Geld, was sind diese rätselhaften Kräfte des Marktes, die angeblich den Planeten in der Umlaufbahn halten, geschweige den was Adam Smith’ „unsichtbare Hand“ ist, von denen Buchhalter gerne reden? Worum es nach der neoliberalen Zeitenwende in den Neunziger Jahren geht sind Fakten, Fakten, Fakten. Und diese lassen sich allein in mathematischen Formeln und Zahlen ausdrücken.
Wissenschaftler sagen, sie prüfen empirisch nüchtern die Fakten, durchdringen methodisch sauber jeden Einzelfall. In der objektiven Analyse suchen sie nach den Fehlerquellen einer Theorie, falsifizieren diese und raten nicht, was sein könnte, üben sich in affektiver Bescheidenheit im Gerede über die gezogenen Schlüsse.
Falls der Mob nicht versteht, warum sein Weltbild vom Haken fällt, dagegen rebelliert, im Netz hysterisch kreischt, depressiv ausbrennt, attestieren ihm Experten die ideologische Krankheit: Dummheit. Diese Hirnkrankheit ließet sich durch das Einflößen eines Abführmittels heilen. Danach verbiete sich diese schädlich spekulative Was-ist-Frage von selbst. Diese Frage sei Baustein eines metaphysischen Luftschlosses. Verursacher sei ein falscher Prophet, der dialektisch listig die Vernunft täuschte. Wohin dieser faule „Zauber“ seiner Täuschung führte, sei am Zerfall dieses spekulativen Gebäudes erkennbar. Davon übrig geblieben sei ein metaphysischer Trümmerhaufen, den es in einer neufreiheitlich offenen Gesellschaft aus dem Weg zu räumen gelte.
Diese Aufräumarbeiten in den Hirnen sind im vollen Gang. Fortan heißt es im neoliberalen Sprachgebrauch von der offenen Gesellschaft und ihrer Feinde, die falschen Propheten seien als Denk-Terroristen enttarnt. Die Theorien von Platon, Hegel und Marx seien bloßgestellt, der „tote Hund“ Hegel und sein Schüler Marx trügen am stalinistischen und nationalsozialistischen Staatsterror eine Mitschuld. Die Begründung für diese neoliberale Ausdeutung von Geschichte lieferte Mitte der Achtziger Jahre der „Historikerstreit“: Auschwitz sei die Reaktion des „traumatisierten“ Hitler auf Stalins „Archipel Gulag“ gewesen. Argumentativ vollzogen neoliberale Historiker einen Rückverweis auf den Hitler-Stalin-Pakt, um so die ideologische Nähe beider Staatsdoktrinen herzustellen. Absolute
Zielsetzung dieser rhetorischen List ohne Vernunft war das Verdrängen und Abstreifen von Schuld oder die Unfähigkeit zu trauern. Vollzogen wurde eine Stilisierung der Täter zu Opfern von falschen Propheten. Hegel und Marx seien aus dem Gedächtnis zu streichen; gleichfalls der Platonismus fürs Volk, dem die Schafe zu Hunderttausenden weglaufen. Deren verführerische Ideologien hätten Leichenberge produziert. Die neuen Verhältnisse werden die offene Gesellschaft von der Knechtschaft ideologischer Metaphysik befreien. Alles Denken, das für sich in Anspruch nimmt, über den Tellerrand des Einzelfalls zu blicken, werde als Hirngespinst abgekanzelt. Das Denken in Sätzen müsse die Klarheit mathematischer Definitionen haben. Nutzlose Begriffsarbeit der Philosophen führe zur Verwirrung und zu den falschen Fragen. Denn: „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen.“ Das Wort haben neoliberal diskursfähige Experten.
Wenn ich die scheinbar einfache Frage stelle: was Fotografie ist, treibt dies einem Popperianer die Zornesröte ins Gesicht. Vielmehr müsste ich von den falschen Propheten von Magnum Photos abkehren, weil sie mir ihre Wahrnehmungsideologie von der conditio humana aufgezwungen haben. Ich müsste nach neoliberaler Diktion die Frage stellen, welches Elend auf dem Planeten ihre Fotografie beseitigte, ob sie nicht vielmehr ihre Leiber am Elend der Elenden mästeten, wofür der dekadente Name ihrer Kooperative nach der 1,5-Liter-Champagner-Flasche einen faktischen Beweis liefere?
Un weiter: Hat etwa die falsche Prophetie des Magnum-Buches „Gypsys“ das Leben von Roma in Osteuropa verbessert? Falls ja, warum werden Roma weiterhin zu Aussätzigen gestempelt, zu denen Angehörige einer offenen Gesellschaft mindestens eine Armlänge Abstand halten? Warum ist der Preis für die Erstausgabe dieses Buches genauso hoch wie der Hartz IV-Regelsatz? Müssten Roma Hatz IV beantragen, um das Buch zu kaufen, damit sie erkennen, wie es ihnen geht?
Nach einer Rosskur müsste ich kleinlaut stammeln, dass keine Magnum-Fotografie (darunter subsumiere ich Agenturfotografie) von Leichen im Mittelmeer die neoliberale EU-Politik zur Kurskorrektur veranlasste. Außer dass sie angesichts dieser Abbilder hinter Stacheldrahtzäunen die Flucht ergreift. Warum müssen Kriegsvertriebene und vor Folter, Hunger und Verfolgung Getriebene ihr Leben auf dem Weg nach Westeuropa riskieren, wäre eine falsche Frage. Magnum-Fotografen sind doch vor Ort und speisen diese bildnerisch dramatisierten Dramen via Satellitentelefon in die Verwertungskanäle. Was stimmt nicht an der Wahrnehmung von Magnum-Fotografien, dass diese dystopisch auf das planetare Elend fokussierte Perspektive eine reaktionäre Abwehrreaktion erzeugt? Fehlt es ihr an nachprüfbaren Beweisen für eine fortan zwingend gebotene Einzelfallprüfung?
Über die Lösung dieser Preisfragen halten Neoliberale die „unsichtbare Hand“. Denn Fotos lügen wie gedruckt. Ganz gleich warum es geht, es müsse bis ins Detail rational begründet und objektiv prüfbar sein, ob sich ein Sachverhalt etwa im Mittelmeer auch faktisch so darstellt, wie er vorgibt zu sein. Entzieht sich ein Sachverhalt der Faktenprüfung, wird ihm indirekt eine ideologieverdächtige Täuschung unterstellt.
„Die Welt ist schön“, sagte Helmut Schmidts Hausphilosoph Karl Popper. Er nannte seinen Positivismus „kritischer Rationalismus“. Poppers Leitsatz lautete: „Ich weiß, dass ich nichts weiß.“ Wer das Gegenteil von sich behauptet, sei ein Trottel oder solle den naturwissenschaftlichen Einzelnachweis für diese Behauptung vorlegen. So lässt sich alles Elend allzweckpoppern, schönreden, sokratisch ironisieren. Fotografien des Elendssind kein Beweis. Paradoxerweise gilt dies nicht für maschinell erzeugte Fotografien von Überwachungskameras, weil diese Erzeugnisse keinen Autor haben. Dass in den Algorithmen der Kameras eine totalitäre Ideologie steckt, ist für die Zweckerfüllung zweitranging.
Popper gehört zu den Vordenkern des Neoliberalismus. Seine Hauptschriften „Logik der Forschung“ und „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“ wurden in 48 Sprachen übersetzt. Seine wirtschaftsliberalen Claqueure feiern ihn als „wichtigsten Denker des 20. Jahrhunderts“. Die Utopien von Platon, Hegel und vor allem die von Marx seien ideologische Geisteskrankheiten, was Helmut Schmidt in den übergriffen Satz stanzte: „Visionäre müssen zum Arzt.“
Das neoliberale Denken Poppers und das seines Freundes aus dem „Wiener Kreis“, Friedrich August Hayek, haben auch das fotografische Erzeugnis in den Zangengriff genommen. In der offenen Gesellschaft ist jeder Nutzer einer algorithmisch programmierten Sehmaschine Fotograf. Magnum-Fotos können so einer utopischen Romantik von gestern zugeordnet und ins Abseits gestellt werden. Komplexe und komplizierte gesellschaftliche Zusammenhänge ließen sich eben nicht von Einzelnen auf starre Fotostrecken reduzieren. Wer dies propagiere, versetze sich in die Position eines doktrinären Welterklärers. Die „unsichtbare Hand“ „selektiere“ nach den sozialdarwinistischen Gesetzen des Marktes die Siger von Verlierern, die Exzellenten von den Minderleistern. Wessen Leistung nicht mehr nachgefragt werde, fehle es an Anpassung an das virale Buchhalterdenken.
Dieses Denken hat sich in den Köpfen festgesetzt. Moralisch zersetzend befeuert es Neid und den heimlichen Groll, produziert emotonale Abneigungen und Unterlegenheitsgefühle.
Hayeks Imperativ von der freiwilligen Konformität an die Verhältnisse führte als Gegenpol zu der einst bildnerischen Dominanz von Magnum Photos zur Erfindung der Neo-neo-Sachlichkeit der Düsseldorfer Becher-Schule. Die Topoi dieser neoliberal affinen Fotografie sind ideologisch geruchslos, politisch unkonkret, neutral und dekorativ, vom Konzept her scheinanalytisch, was ganz dem Geschmack des Kunstmarktes entspricht. Auf diese marktkonforme Neo-neo-Sachlichkeit werden Studierende der Fotografie dressiert. Themen sind Raum und Zeit, was nach einer Auseinandersetzung mit den Einsteinschen Theorien scheint, das Verhältnis von drinnen und draußen, oder was bei der Beobachtung seiner selbst beobachtet werde. Fotografie habe linear zu sein, ohne Anfang und Ende, assoziativ, inszeniert, streng komponiert, vor allem solle diese Fotografie frei sein von großen Erzählungen. Auf diese Weise gruppiert sich das fotografische Abbild wendig in die neoliberale Warenästhetik. Die Frage: Was das wiederum ist, steht klar unter Ideologieverdacht.
]]>In Freyas Göttersaal bohrt sich Platons Stechmücke in fotografische Flachware. Sie soll aus technisch konservierten Lichtspielen der Achtziger Jahre das Ideologische saugen: »Was ist das dokumentarische Foto? Was ist Autorenschaft? Was ist authentische Haltung?« Darauf sollen Fotografien der üblichen Verdächtigen eine selbstreferentielle Antwort geben. Ort dieses Scheiterns wird das Museum Folkwang vom 9. Dezember 2016 bis 7. Februar 2017. Zeit genug, um auf das Beste zu hoffen und auf „rebellisch“ titulierte Gemeinplätze vorbereitet zu sein.
Kurator Florian Ebner treibt im Museum Folkwang rechendes Denken, woran Ute Eskildsen schon vor 30 Jahren scheiterte, als sie den Irrtum „Reste des Authentischen“ - 15. Mai bis 22. Juni 1986 - produzierte, wenngleich sie in Kenntnis von McLuhans These wusste, das es keine „Reste“ von etwas geben kann, was keine Substanz besitzt.
Zweck dieser Handlung von Eskildsen war die Öffnung der Museumspforte für eine Düsseldorfer Akademie-Metaphysik, deren technische Rechenwelt sich darin äußert, das Gesehene marktaffin zu kalibrieren und das Sinnliche aus Fotografie zu löschen. Fotografie wurde zu einer logistischen Herausforderung:welches Labor kopiert im Format von Konsumschlachtgemälden, welcher Tischler fertigt zur Veredelung passende Rahmen, Transportkisten, wer lenkt die Ware unfallfreivon A nach B?
Dem im Weg stand 1986 die conditio humana des Fotojournalismus im Gepräge von Magnum Photos, dieses Relikt aus neoliberaler Vorzeit, an das im Zuge des rechnenden Kalküls der Ruch des Verbrauchten geklebt wurde. Fotojournalismus gehörte fortan ins profane Handwerk, was die Konsequenz nach sich zog: akademisch trainierte Fotografen heißen sich nach US-Vorbild Dokumentaristen, geben demselben Material, mit dem sie etwa als Essener Fotojournalisten in den Achtziger Jahren reüssierten den scheinbar ideologisch sauberen Anstrich Dokumentarfotografie. Diese verkaufsfördernde Umwidmung soll von Objektivität und verblüffungsresistent kühler Distanz zum Sujets zeugen, damit sich das Material in amerikanisierte Zeitläufe fügt.
Was dokumentarische Fotografie „ist“, weist zielgerichtet ins Metaphysische. Zwei unklare Begriffe werden mittels des ontologischen Adjektivs „ist“ zu einem Seinsbegriff gekoppelt, wovon das stumme Zeichensystem „rebellischer“ Fotografie eine Definition geben soll. Betrachter dürfen dann raten, auf welche fröhliche Scheinwissenschaft sie gerade den Blick richten: auf eine journalistische Fotografie oder dokumentarische Fotografie, auf ein und dasselbe, das variabel mal diese und mal jene Maske trägt? Diese Raserei des markttechnischen Denkens von Fotografie kann am denkwürdigen Denken, was dokumentarische Fotografie „ist“, nur zielsicher vorbeidenken.
Gleiches gilt für den Satz vom Grund: was „ist“ Autorenschaft? Welche freien Gedanken gebiert ein Autor von dokumentarischer Fotografie, die ihn zu einem Schaffer einer zuvor noch nicht gedachten Verbildlichung treibt? Waren Gedanken einfach so in seinen Kopf geraten, unbeeinflusst von Malerei, Literatur, Fotografie, Film, von anderen Kulturgrammatiken? Auf wie viele Verursacher von dokumentarischer Fotografie trifft die reine Autorenschaft zu, dass sie eventuell eine Definition des Begriffs geben könnten? Angesichts der vielen Autoren und Kopisten von fotografischen Stilistiken, die für sich selbstgewiss eine Autorenschaft reklamieren, scheint diese Selbstzuschreibung eher vom Marketing geprägt.
Was authentische Haltung „ist“, Florian Ebners dritte Frage an „das rebellische Bild“, gerät zu einem konservativen Wertetest. Meint authentische Haltung einen gefestigten Charakter, ein grades Rückgrat, den aufrechten Gang, ein von Moralismen verstrebtes Wertegerüst? Dem folgt ein übersteigerter Individualismus, das jeder für sich eine Parallelgesellschaft darstellt, einen Feudalismus an egozentrischen Überzeugungen und eine Ethik pflegt, die das Kollektiv für eine parasitäre Masse hält. Authentizität und Haltung verbreiten in dieser Wortkonstruktion den Schein von zielgesetzten Tugenden, woran sich der Nachwuchs orientieren solle. Welche Rolle Zufälligkeit von Umständen spielt, um sich Haltung zu leisten, die sich widerständig gegen Vereinnahmungen sperrt, gehört ausgeklammert und in das Feld des Gestrigen.
Überschrift der für Dezember 2016 geplanten Ausstellung: „Das rebellische Bild“. Dieser knackige Titel soll die 1976 von Michael Schmidt gegründete Kreuzberger „Werkstatt für Photographie“ und die „junge Folkwang-Szene“ der Achtziger Jahre thematisieren. Problem A: Zu diesem Zeitpunkt hieß die „junge Folkwang-Szene“ laizistisch schlicht GHS Essen, Fachbereich 4. Ein Rückgriff auf Freyas Priesterschaft wurde erst akut, als nach dem Tod von Angela Neuke im Jahr 1997 das Essener Fotografie-Fach sukzessive ins Mittelmaß rutschte und ihr Otto Steinert-Lehrstuhl für Fotojournalistik als Sperrmüll zerhäckselt wurde. Vor diesem Hintergrund erscheint der jetzige Zusatzartikel „Hochschule der Künste“ als wagnerianische Folkwang-Folklore, die dem Ego von Protagonisten schmeichelt, dennoch nichts über die Mattheit der dort produzierten Fotografie sagt.
Im PR-Text des Museum Folkwang wird der intensiven Spurensuche das Wort geredet, wenngleich Holzweg vielleicht der passendere Ausdruck wäre: „Die Ausstellung spürt den damals neuen Themen Farbe, Urbanität und Jugendkultur nach. Sie stellt die Arbeiten der noch jungen Talente Gosbert Adler, Joachim Brohm, Volker Heinze, Andreas Gursky vor und präsentiert die amerikanischen Referenzen jener Zeit: Stephen Shore, William Eggleston, Lee Friedlander und Diane Arbus.“ Zitat Ende.
Problem B: Falls es Florian Ebner um historische Verklarung geht, müssten diese US-Referenzen um einige Figuren ergänzt werden: Garry Winogrand, Larry Fink, Susan Meisselas, Robert Frank, Mary Ellen Mark, Larry Clark u. a.. Was Essener Talente zu jener Zeit betrifft, scheint der Fokus von Florian Ebner auf ein Personal verengt, dass überraschende Einblicke in die „Folkwang-Szene der Achtziger Jahr vermutlich fehlen werden. Von welchem „rebellischen Bild“, spricht Florian Ebner, wenn er von „Aufbruchstimmung“ redet? Nach kritischer Prüfung der „Ruhr“-Arbeit von Joachim Brohm reduzierte Garry Winogrand das Gezeigte auf die ironische Sentenz: „viel Papier“. Ein Film im Archiv der GHS Essen liefert dafür das Anschauungsmaterial.
Angesichts der Ausstellerliste treffen sich im Dezember 2016 saturierte „Rebellen“, gewachsen an Wörtern und Wichtigkeit, denen es sicher leicht fällt, auf die metaphysisch konnotierten Fragen von Florian Ebner treffend zu antworten. Drei der Aussteller rollten schon vor 30 Jahren ihre Transportkisten auf Ute Eskildsens Resterampe des Authentischen. In einem Jahr erhalten sie in neuen Folkwang-Mauern Gelegenheit, ihre „authentische“ Flachware aus den Achtziger Jahren neuzeitlich als „rebellisch“ zu etikettieren.
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Magnum Photos nominierte den Fotojournalisten Matt Black. Seine Fotografien knüpfen an die Stilistiken und Themen, wofür Magnum Photos seit der Agentur-Gründing steht. Nichts wird an diesen komplexen SW-Fotografien geschönt, stattdessen zeugen sie von einem respektvollen Umgang mit den Sujets, deren tiefe Armut die Kehrzeite der Globalisierung einmal mehr versinnbildlicht. Henri Cartier-Bresson, Larry Towell, Josef Koudelka - auf deren Spuren bewegt sich Matt Black.
Hiierzulande findet das Genre Fotojournalistik kaum noch Fürsprecher. Wenige Ausnahmen an deutschen Hochschulen bestätigen: Fotojournalistik genießt in Deutschland den Ruf von Rückwätsgewandtheit, des kontaminiert Gestrigen, das es von sich abzuschrubben gelte. Es scheint zu anstrengend und lästig, dorthin die Sehmaschine zu richten, wo das Leben sich nicht als gezuckerte Seifenoper maskiert.
Kürzlich sagte mir eine Essener Master-Studentin, den Namen Angela Neuke habe sie noch nie gehört. Im gleichen Atenzug höhnte sie spöttisch über Otto Steinert, sie befände sich auf dessen Traditionslinie, dabei sei der Mann “doch nur ein Autodidakt” gewesen. Diesen Dünkel muss man sich leisten können.
]]>Nan Goldin nennt sich Bewunderin des Arbus-Werkes. Sie selbst führte ein Leben als Nachschattengewächs, konsumierte harte Drogen, ihr damaliger Freund hätte sie fast blind geschlagen, Aids dezimierte ihren Bekannten- und Freundeskreis. Die Dokumentation dieser Exzesse: Die Ballade von der sexuellen Abhängigkeit machte sie zu einer Leitfigur von Gegenwartsfotografie.
Ein weiterer Kandidat in dieser Reihe heißt Larry Clark. Sein epochemachendes Buch Tulsa zählt zu den Unabhängigkeitserklärungen der Reality Art. Clark nennt Tulsa den Grabstein für seine darin abgelichtete Drogen-Clique; keine Peron weilt mehr unter den Lebenden. Larry Clark, inzwischen im Rentneralter, fährt weiterhin mit seinen Kumpels Rollbrett. Skandale, die seine Kinofilme (Kids Bully, Ken Park, Wassup Rockers) über das US-Skater-Milieu begleiten, sind für ihn eine Ehrensache, eine Frage der Haltung, die sich nicht vom alles aussaugenden Kommerz korrumpieren ließe.
Es versteht sich fast von selbst, dass Larry Clark als einer der letzen Fotografie-Vertreter wider die bürgerliche Ordnung fasziniert. In regelmäßigen Abständen gehen Figuren der US-Kulturindustrie auf die Suche nach einem legitimen Nachfolger von Larry Clark. Mal wird Ed Templeton genannt, dann Dash Snow, zuletzt fiel die Wahl auf Ryan McGinley. Dennoch: Ein ganz heißer Kandidat, der von seinen Voraussetzungen am ehesten für diesen Posten geeignet wäre, ist der Magnum-Fotograf Antoine D’Agata. Das schwerwiegende Problem: D’Agata ist Franzose und Anarchist, 1961 in Marseille geboren, nach eigener Aussage seit dem 1 7. Lebensjahr Junkie, 20 Jahre lang lebte er auf der Straße.
Antoine D’Agata lernte Anfang der Neunziger am International Center of Photography von Nan Goldin und Larry Clark die Technik, Fotografien des abgründigen Lebens in der Todeszone in die schicken Galerien der Metropolen zu schleusen. Das Kulturbürgertum schaudert gerne beim Anblick von zerschließenem Körpern, um sich ihrer selbst zu vergewissern, am richtigen Leben hinter einer polierten Fassade teilzuhaben.
Fast jeder Satz, den Antoine D’Agata in Interviews auf youtube sagt, zeugt von einer Kenntnis des Lebens, die ganz trocken die nach Aufmerksamkeit gierende Dekorationsfotografie verachtet. Er sagt: „Ich habe nie die Position des Fotografen als Beobachter akzeptiert, der nicht in die Situation involviert ist. Technik und Ästhetik sind unwichtige Kriterien. Nur die Essenz des Geschehens zählt. Agonie ist das beste Sujet für Kunst.“
In diesem Punkt scheint sich D’Agata in Deckungsgleichheit mit seinen Seelenverwandten zu treffen: Arbus, Goldin, Clark und nicht zu vergessen Anders Petersen und Daido Moriyma haben sich nie als Sklaven von Ästhetik und Technik verstanden. In deren Zeitzonen sind bürgerliche Konventionen außer Kraft gesetzt. Dorthin zieht es D’Agata, wo „Sister Morphin“, diese Zwillingsschweter der Prostitution, die Subjekte auf ihre Körperöffnungen zur Triebabfuhr reduziert.
Cambodian Room nennt D’Agata eine Arbeit über eine kambodschanische Junkie-Prostituierte. Mit ihr lebte D’Agata sieben Monate lang in einem Angstraum. Nimmt man sein Zitat wörtlich: die Position des Beobachters habe er nie akzeptiert, kann dies heißen, D’Agata war in Kambodscha selbst Akteur für die Geldbeschaffung und Konsument harter Drogen. Die Frage schein berechtigt: welchen Tribut zollt er seiner Kunst? Diane Arbus zahlte dafür den höchsten Preis. Goldin, Clark, Moriyama sagen, sie hätten dem Abgrund widerstanden.
Im Jahr 1998 veröffentliche D’Agata seine ersten Bücher: De Mala Muerte und De Mala Noche. 2001 erhielt er den Niépce-Pries. Zwei Jahre später erschienen zwei weitere Bücher: Vortex und Insomnia. 2004 wurde er Magnum-Fotograf, im gleichen Jahr wurde sein fünftes Buch Stigma publiziert. Es folgten der Kurzfilm El Cielo del Muerto und das Buch Manifeste, 2006 D’Agatas zweiter Film: Aka Ana. Aktuell ist die 560 Seiten strake Monographie Anticotps:2013 ausgezeichnet mit dem Photobook Award Les Rencontres D’Arles.
]]>Nach den ersten Vorstellungsrunde des Podiumsdiskutanten wurde den Anwesenden verklart, dass die vielversprechende Überschrift „Sein – Schein – Sein“ allein der Schaufensterdekoration diente. Nicht ein einziges Mal wurde auch nur ansatzweise der Versuch gewagt, warum der Begriff „Sein“ des Parmeindes gleich im Doppelpack in der Überschrift Verwendung findet, wofür in diesem Kontext der geklammerte Begriff „Schein“ aus der Gespensterwissenschaft denn stehen solle?
Hitzig wurde die Debatte als vom Urheberrecht die Rede war. Bis zu welchem Punkt dürfe das fotografische Urheberrecht gebogen werden, das die freimaurerische Bruderschaft der Agentur Magnum-Photos im Jahr 1947 zu ihrer Gründungsurkunde erklärte und einige Erdumdrehungen später die Fotografen-Branche dabei zusehen darf, wie die üblichen Verdächtigen das Urheberrecht für angewandte Fotografie bis zum Verschleiß zerreiben. Die Anwesenden richteten ihren Autofokus auf #Paloma Parrot, die in ihrer Liste an Auftraggebern einige dieser bösen US-Konzerne mit Sitz in Palo Alto nennt, was geschwätzige Meiner im Plenarsaal des Wissenschaftsparks Gelsenkirchen zu der Mutmaßung veranlasste, #Paloma Parrot sei mit diesen Konzernen einen faustischen Pakt eingegangen.
Dass sich Auftraggeber in #Paloma Parrots grafisch aufgeräumter Stilistik wiederfinden, war für anwesende Gursky-Nachahmer ein schwer zu schluckender Brocken.Andererseits: Wer im Jahr 2015 Gurskys Pixelschieberei noch immer für das herkulische non plus ultra hält, suhlt sich scheinbar lieber in einer piefig deutschen Neiddebatte, statt die Zukunft von Fotografie in Asien zu suchen. Vieleicht wäre es gar nicht schlecht, sich einmal mit Rinko Kawauchi zu beschäftigen und anhand dieser Fotografie zu prüfen, wie viel davon in den Arbeiten von #Paloma Parrot steckt, zumal sie biographisch auch den asiatischen Erdteil vertritt?
#Paloma Parrat, bürgerlich Phoebe Cortez Draeger, ist eine junge Fotograin aus Dortmund. Auf der Grundlage der Schrift „Der kommende Aufstand“ des französischen Autorenkollektivs „Das unsichtbare Komitee“ konzipierte sie in Zusammenarbeit mit dem Gestalter Dennis Schoof ein experimentell punkiges Buch über den sozialen Brennpunkt Dortmunder Norden. Titel dieser Abschlussarbeit an der Ruhrakademie: „44145“. Das war im Jahr 2011.
Heute verdiene sich Phoebe Cortez Draeger unter dem Instagram Hashtag #Paloma Parrot „dumm und dämlich“. Aus diesem rhetorischen Cocktail aus Unverständnis und Missgunst die falschen Schlüsse zu ziehen, dazu waren einige Anwesende geneigt, die überhaupt nicht verstehen konnten, dass #Paloma Parrat auf der Netzplattform von Instagram zu den gefragten Fotografen/innen zählt. Die Fragezeichen in den Augen sagten in aller Deutlichkeit : warum die, und warum nicht ich? Diese Frage durfte sich jeder „Youngstar“ selbst beantworten.
Es heißt: Instagram habe 218 Millionen Nutzer. Dagegen scheint die Zahl von derzeit knapp über 313.000 „Freunden“, die regelmäßig über das informiert werden, was #Paloma Parrat an Fotografien auf der Plattform von Instagram platziert eher bescheiden.Für die Veranstalter in Gelsenkirchen Grund genug, sie einer dünkelhaften Neider-Meute vorzustellen, in der ein Meinender widerspruchsfrei unter die Gürtellinie der Fotografin zielen durfte. Phoebe Cortez Draeger reagierte darauf kühl, gelassen, zurückhaltend, stoisch. Ihre Auftraggeber schicken sie um den Erdball, ihr Agent in New York versorgt sie in den USA mit lukrativen Jobs, von denen einge „Youngstar“ noch nicht einmal zu träumen wagen.
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Worin gründet diese bisher unbeantwortete Anfälligkeit von Fotografien für Propagandazwecke, dass sie gleichsam als aufklärerisch demokratisch und als visuelles Zweckmittel des menschenverachtenden Sarkasmus für Irritationen sorgt? Was hat den Wackelbegriff Fotografie entleert, das kaum noch jemand versteht, was der ausgehöhlte Begriff Fotografie bedeutet, wenn Fotografie im Dienst der jeweils präferierten Ideologie die Illusionen vom richtigen oder falschen Leben speist? Wem nutzt und wem schadet das Klagen über die Verwendung von algorithmisierten Schrittfolgen der Aufnahmetechniken, die angeblich ideologiefrei die Abbild-Produktion von nahezu jedem denkbaren Abbild-Problem geradezu spielerisch ermöglicht? Im Schaukelstuhl der Dialektik können Argumentatoren sich selbst vergewissern, dass ihre gezogenen Schlüsse an den Kern des Problems greifen, ohne einen Begriff von Fotografie zu haben, der das Ding, das Subjekt, deren Prozesse des Werdens reflektiert. Dieses Unbehagen führt zu einer Entleerung des Begreifens von Fotografie, das im Urheberrecht einen Zufluchtsort sucht, den es mit Klauen und Zähnen zu verteidigen gelte.
Worauf ein Abbild-Produzent seinen Standpunkt eines Urhebers stützt, gründet auf Paradoxien. Ein Produzent von fotografischen Abbildern ist weder Urheber des abgelichteten Subjekts beziehungsweise Dinges, weder Urheber der genutzten Sehmaschine, weder Urheber der Verwertungsapparates von Abbildern, noch, häretisch gesagt, des genutzten Lichtes, noch seiner selbst. Fotografien erscheinen als maschineller Ausdruck von subjektiven Augen/Blicken, die in maschinellen Verfahrensprozessen zur Ansicht gebracht werden.
Denkökonomisch wird der „Marke“ das Wort geredet. Fotografie-Produzenten hätten ihre maschinell zum Ausdruck gebrachten Blicke urheberrechtlich zu schützen, sich zu einer „Marke“ zu entwickeln, ihrer Person ein „Image“ zu geben, was die Marketingdurchseuchung von Fotografie verdeutlicht. Wer dieses nicht täte, beginge Verrat an den marktüblichen Gepflogenheitn, verabschiede sich in die moralfreie Zone des horizontalen Gewerbes, absentiere sich damit selbst aus dem Kreis ernstzunehmender Abbild-Produzenten. Die „unsichtbare Hand“ des Marktes, die bei Gefallen füttert, über den Kopf streichelt, pekuniären Erfolg, Ruhm, Besitz, kalte Empathie und Anerkennung verteilt, darf nicht gebissen werden.
Produzenten von fotografischen Abbildern haben die Gabe, sich heuchelnd in die Neutralität zurückzuziehen. Ihnen ginge es allein um „ihre“ Abbilder des Zusehens. Was erscheint auf einer Fotografie als das subjektiv Eigne, wenn Hersteller von digitalen Simulationsmaschinen das Zonenmesssystem programmieren ließen, so dass technisch anspruchsvolle Aufnahmen keinen Anspruch mehr an die technischen Fertigkeiten des Produzenten stellen? Was ist das subjektiv Eigne an Fotografie, wenn Informatiker eine Bandbreite an Filtersystemen für Fotografie programmieren, die der Vorstellung des Auftraggebers von einer schönen, scheinbar neutralen digitalen Realität entsprechen? Warum wird überhaupt noch fotografiert, wenn die verwendeten digitalen Werkzeuge für jede, selbst die komplizierteste Problemstellung mindestens eine digitalisierte Lösung parat hält?
Vor einer gefühlten Ewigkeit von vielleicht zehn Jahren vollzog sich der Paradigmenwechsel. Analoge Fotografie kam in den Ruch des Rückwärtsgewandten, von praktischer Handarbeit im Dunkelraum, in dem mit Chemikalien hantiert wurde; ein analog hergestellter Handabzug noch über die handwerklichen Fertigkeiten des Produzenten Auskunft gab. Nach kurzem Aufbäumen gegen die Digitaltechnik stellten Produzenten ihre analogen Kameras in die Vitrine, Labore wurden aufgelöst, womit das Handwerkszeug auf den Müll landete, worauf Fotografie einen Teil ihres Profils gründete. Das Kalkül neuzeitlicher Produzenten von Fotografie zielsetzt auf die Vulgärpragmatik des american way of life, dass in der virtuellen Realiät noch Simulationsräume mit Abbildern gefüllt werden möchten, die noch gar nicht programmiert worden sind. Gefragt sind massentaugliche Ideen ohne den Konsum störende Inhalte. Das schwer Verdauliche oder vom Ranz des Gestrigen Befallene erhält das Etikett des Prähistorischen, es widerspricht dem Fortschritt, diesem Blindflug ohne konkretes Ziel. Dass aus dieser Ziellosigkeit politisch und ethisch unkorrekte Verbreiter von Schreckensszenerien ihre Vorteile ziehen, scheint nur im ersten Reflex wie ein tragischer Störfall.
]]>Im Reich des Lichtes weist die Kompassnadel auf einen ortlosen Lichtort, den ein Astronom vor einigen Erdumdrehungen auf den Namen »Fotografie« taufte. Ein wiederentdecktes Atlantis sah dieser Astronom vor seinem inneren Auge, voll des Zaubers einer offenen Gesellschaft, wo jeder Fotografie-Verursacher per simplem Knopfdruck mit einem schwindelerregenden Maximum an künstlerischen Fertigkeiten und verstandesmäßigen Eigenschaften ausgestattet ist. Dieser Maximalausgestattete kann mit Licht schreiben, mit Licht malen, mit Licht zeichnen, ohne in die Sphären dieser Kulturtechniken vorzudringen. Es mag sein, dass dieser Astronom von der Strahlkraft seines Trilemmas ergriffen war. In Abwesenheit von Widerlegungen dieser Verschwörungstheorie bedienen sich derer jene, die nicht immer wissen, was sie per Knopfdruck tun, jedoch die Vorstellung hegen, ihrer künstlerischen Maximalausstattung fehle es einzig an einem Entdecker, der ihrer Egotechnik kulturellen Glanz verleiht.
Meine stotternde Erzählung folgt der Gebrauchsanweisung des Neuromarketings, das technische Dinge personalisiert, einem Linienbus auf die Heckscheibe klebt: „Ich bin ein Hybrid“, der saubere Abgase in die Atemluft bläst, einen Leihwagen die Kunde verbreiten lässt: „Ich bin für 65 € am Tag zu mieten“. Auf diesem verflachten Untergrund hätte »Fotografie« die Funktion einer reinen Mutter, deren personalisierter Sohn »Fotoapparat« die Existenz eines Edelstrichers führt, der jedem, dem abgründigsten und dem kulturell höchsten Begehren einen Dienst erweist. Angesichts dieser Totalität des abbildenden Begehrens gründelt eine geschwätzige Sprachlosigkeit zuständiger Experten nach dem Warum. Ihr zähmendes Wort vom „visuellen Analphabeten“ folgt dem Drang, ihr Staatsgebiet an Metaphern und modernen Mythen vor etwaigen Widerlegungen abzuschotten.
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